Burak Yilmaz und Liebe für die Hood

Shownotes

Die ständige Konfrontation mit unterschiedlichen Realitäten und „das Andere“ aushalten - darin musste sich Burak Yilmaz früh üben. Das katholische Elite-Gymnasium in seiner Heimatstadt Duisburg nimmt eigentlich nur christlich getaufte Kinder auf. Doch bei ihm und einem Freund machen sie eine Ausnahme. Als die einzigen zwei Muslime auf der gesamten Schule müssen sie sich immer wieder erklären und stechen heraus.

„Meine Eltern hatten Schiss, dass wenn ich immer unter Christen abhänge, ich irgendwann selber zum Christ werde.“ Um gegenzusteuern, schicken sie Burak Yilmaz am Wochenende auf eine Koranschule und er verbringt von nun an sieben Tage die Woche in zwei verschiedenen Schulwelten. Heute bezeichnet er es als großes Glück, auf dem Elite-Gymnasium angenommen worden zu sein.

Als Jugendlicher spürt er vor allem die Last der Verantwortung, seine Religion, sein Viertel und seine Klasse zu repräsentieren. „Das Aushalten unterschiedlichster Lebenswelten, diese Übersetzungsarbeit, das hat mich extrem geprägt.“

In seinem Tun als Theaterpädagoge, Autor, Podcaster und Moderator profitiert er von diesen Fähigkeiten, genauso von seiner Bereitwilligkeit, den Konflikt zu suchen: bei Lesungen in Schulklassen aus seinem Buch „Ehrensache: Kämpfen gegen Judenhass“, bei Theaterworkshops mit Gefangenen im Knast oder bei Fahrten mit muslimischen Jugendlichen in die KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau.

Im Gespräch mit Host Stephan Anpalagan spricht Burak Yilmaz über sein Aufwachsen in einem Viertel, das medial immer wieder als „No-Go-Area“ und „Problembezirk“ gebrandmarkt wird und darüber, wie es ist, sich als Muslim in Deutschland gegen Antisemitismus zu stellen. Und sie gehen der Frage nach, was Burak Yilmaz eigentlich von Grünen-Minister Cem Özdemir unterscheidet.

TRANSPARENZ

Burak Yilmaz erwähnt den langjährigen Führer und Mitbegründer der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) Abdullah Öcalan. Die Partei wird unter anderem in der Türkei, in Deutschland und in den USA als terroristische Vereinigung eingestuft.

Die Grauen Wölfe wiederum sind eine rechtsextreme und nationalistische Bewegung, die ursprünglich aus der Türkei kommt, mittlerweile aber auch in Deutschland aktiv ist.

Es geht um Burak Yilmaz' Podcast Brennpunkt und um seinen neuen Job als Host des Late Night Real Talks bei den Münchner Kammerspielen.

In der Kategorie „Deine Werbeanzeige“ empfiehlt Burak Yilmaz die Musik der Rapperin Alyssa und das neue Satire-Programm von seinem Podcast-Kollegen Abdul Kader Chahin.

Die Folge mit Burak Yilmaz wurde am 30. Oktober 2024 aufgezeichnet.

URHEBERRECHT

Im Intro des Podcasts zitieren wir:

Enissa Amani, aus: „Rebels. Ich rebelliere also bin ich“; Folge 2: „Die Macht der Comedy“ vom 13. Dezember 2022, ARD Kultur, Timecode: 00:11:26

Anja Reschke, aus: „Panorama“, Beitrag „Mein Nachbar ist Nazi“ vom 1. Juli 2022, NDR, Timecode: 00:00:05

Disarstar, aus: „Rebels. Ich rebelliere also bin ich“; Folge 1: „Die Macht der Musik“ vom 13. Dezember 2022, ARD Kultur, Timecode: 00:01:45

DANKSAGUNG

Redaktion: Melanie Skurt, Jasper von Römer; Hosts: Ninia La Grande, Stephan Anpalagan; Produktion: Benjamin Jenak; Artwork: Karla Schröder; Sprecherin: Leni Leßmann

FINANZIERUNG

Veto wird anteilig gefördert von der Schöpflin Stiftung, der GLS Treuhand und vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung.

Transkript anzeigen

00:00:00: Es hätte keine Veränderung dieser Welt gegeben,

00:00:03: wenn nicht irgendjemand gesagt hätte, ach, das müssen wir ändern.

00:00:06: Manchmal muss man klare Kante zeigen.

00:00:08: Das fordert die Gesellschaft ja auch.

00:00:10: Klare Kante gegen rechts heißt es doch zum Beispiel immer.

00:00:14: Die Welt brennt an allen Ecken und Enden.

00:00:16: Haben wir extreme, massive Probleme, vor denen sich keiner verschließen kann.

00:00:20: Die Welt ist in Aufruhr. Doch Aktivistinnen geben Hoffnung.

00:00:23: Du hörst ganz schön laut.

00:00:25: Den Veto-Podcast mit Ninia Lagrande und Steven an Palagran.

00:00:29: Wir stellen Menschen vor, die für Veränderung etwas riskieren.

00:00:33: Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Ganz schön laut".

00:00:41: Dem Podcast des Veto-Magazins.

00:00:44: Alle zwei Wochen sprechen wir hier mit Menschen,

00:00:46: die sich aktivistisch engagieren, mit Menschen,

00:00:49: die ihre Stimme erheben, um in dieser Gesellschaft etwas zum Besseren zu wenden.

00:00:53: Heute habe ich mal wieder einen hervorragenden Gast,

00:00:56: der so viele verschiedene Dinge macht und zu so unterschiedlichen Themen arbeitet.

00:01:01: Das ist schwierig, seine Arbeit in Gänze in nur einer Stunde Rechnung zu tragen.

00:01:06: Wir versuchen es trotzdem. Er ist Podcaster, Autor, Theaterpädagoge

00:01:10: und behandelt dabei die Themen Antisemitismus, Rassismus,

00:01:14: Geschichte der Einwanderungsgesellschaft,

00:01:16: Geschichte in der Einwanderungsgesellschaft, Biografiarbeit,

00:01:19: Islamismus und Rechtsextremismus.

00:01:22: Auf seiner Webseite ist zu lesen,

00:01:24: ob Theaterworkshops mit Gefangenen im Knast

00:01:27: oder ernste Gespräche beim Bundespräsidenten Burak geht ans Eingemachte.

00:01:33: Ich verlasse mich drauf und damit herzlich willkommen, Burak Yilmaz.

00:01:37: Hallo, ich grüße dich, freue mich, hier zu sein.

00:01:39: Ich habe ja die Redaktion so ein bisschen verarscht.

00:01:44: Ich habe dir nämlich gesagt, du heißt Yilmaz.

00:01:47: Und das haben die mir dann einfach geglaubt.

00:01:49: (Lachen)

00:01:51: Da waren die wahrscheinlich nicht die einzigen.

00:01:54: Wie oft passiert dir das?

00:01:56: Sehr, sehr häufig.

00:01:58: In der Regel ist es immer, dass Yilmaz das schön,

00:02:01: dass Zett am Ende ordentlich getrunkt wird.

00:02:03: (Lachen)

00:02:05: Ja, das ist so ein bisschen wie, weiß ich nicht, zu Kowski.

00:02:09: Ich glaube, im Türkischen gibt es eher so weiche Laute,

00:02:13: die da sind und nicht so harte, was das kehl und sonstige Laute sind.

00:02:17: Genau, es ist jetzt nicht so wie bei Schmakofatz.

00:02:20: Das ist halt so ein richtig krasses Zett ist,

00:02:23: das ist so ein sehr sanftes Yilmaz.

00:02:25: (Lachen)

00:02:27: Jetzt muss man dazu sagen,

00:02:29: es ist nicht das erste Mal, dass wir miteinander sprechen.

00:02:32: Wir haben vor zwei Wochen in Köln miteinander gesprochen.

00:02:35: Davor haben wir in Monheim gesprochen.

00:02:38: Einmal habe ich dich moderiert, einmal hast du mich moderiert.

00:02:41: Und mir geht immer das Herz auf, wenn wir sprechen.

00:02:45: Allein schon aus dem Grund, dass du nicht aus Berlin kommst,

00:02:48: sondern genauso wie ich aus Nordrhein-Westfalen.

00:02:51: Das ist in dieser politischen Welt gar nicht so häufig,

00:02:55: dass mir das passiert.

00:02:57: Wir sprechen ja, wenn wir sprechen,

00:03:00: häufig nicht so sehr über Migration und, ich sag mal, Ausländer,

00:03:05: sondern über Heimat und die Frage,

00:03:07: wer in diesem Land Heimat finden darf.

00:03:10: Und darum soll es heute gehen.

00:03:12: Du bist im Duisburger Stadtheim Marxler aufgewachsen.

00:03:16: Und du bist, das haben meine Redakteure herausgefunden,

00:03:21: auf einem katholischen Elite-Gymnasium gewesen.

00:03:26: Und wenn ich irgendetwas über dich hätte raten müssen,

00:03:31: wäre das das letzte gewesen, was wir raten hätten.

00:03:35: Vielleicht magst du unsere Zuhörerinnen und Zuhörer

00:03:38: einmal kurz ins Bild setzen.

00:03:40: Wie bist du auf das katholische Elite-Gymnasium gekommen?

00:03:44: Weißt du, das ist echt so eine Frage,

00:03:47: die beschäftigt mich seit 35 Jahren.

00:03:50: Ich glaube, die ist nicht so bestürmig,

00:03:52: ich glaube, die hier das Wort.

00:03:55: Also wirklich, das ist so eine Frage, die ist, die beschäftigt ...

00:03:59: Also ich würde wirklich sagen,

00:04:00: manchmal beschäftigt sie mich echt jeden Tag so.

00:04:03: Aber ich versuch mal eine Erklärung zu geben.

00:04:06: Also ich bin im Dichterviertel in Obermarksloh aufgewachsen.

00:04:09: Und das ist so ein Stadtteil,

00:04:11: also das ist die größte Arbeitersiedlung in Duisburg.

00:04:14: Und in den 80er-Jahren gab es eine sehr krasse Stahlkrise in Duisburg.

00:04:19: Also sehr viele Familien sind wirklich von einem Tag auf den nächsten

00:04:23: in die Armut abgerutscht.

00:04:25: Und sehr viele arme Familien haben sich dann die Frage gestellt,

00:04:28: ja, war das aber mit den Kindern.

00:04:30: Wenn keine Zukunft mehr da ist in der Stahlindustrie oder im Bergbau,

00:04:34: müssen die ja was Gescheites lernen.

00:04:36: Und es gab halt dieses Gymnasium im Duisburger Norden,

00:04:39: das ein sehr, sehr guten Ruf hatte,

00:04:41: das wirklich sehr gute Lehrkräfte hatte.

00:04:43: Also sehr viele von meinen Lehrerinnen und Lehrern,

00:04:46: also Leute, die halt wirklich so richtige Fachexperten waren

00:04:50: und auch so nebenbei noch irgendwie so Literatur geschrieben haben

00:04:54: und so Fachliteratur.

00:04:55: Und das hat sich halt rumgesprochen im Stadtteil.

00:04:58: Und es gab viele Familien,

00:05:00: also gerade viele migrantische Familien,

00:05:02: die versucht haben, ihre Kinder auf diese Schule zu bringen.

00:05:05: Die haben sich auch alle drauf beworben.

00:05:07: Aber am Ende habe ich zusammen mit einem afghanischen Freund von mir

00:05:11: waren wir die Einzigen, die halt aufgenommen wurden.

00:05:14: Und dann gab es halt wirklich so eine Art Auswahlgespräch.

00:05:17: Und dann haben die halt echt nur zwei genommen.

00:05:20: Was für mich ein riesengroßes Glück war mit meinem Kumpel zusammen.

00:05:23: Aber gleichzeitig war das für uns beide auch eine wahnsinnige Verantwortung.

00:05:27: Weil wir waren halt repräsentativ für die gesamte Hood so.

00:05:30: Und du musst dann halt deine Hood auf dem Gymnasium repräsenten.

00:05:34: Und so kam das halt dann.

00:05:36: Und dann war es halt so,

00:05:38: dass ich dann mit meinem Freund,

00:05:40: der quasi repräsenten ...

00:05:42: Und so kam das halt eben,

00:05:44: dass wir dann da eben auf der Schule gelandet sind.

00:05:47: Du bist, damit ich dir richtig verstehe, katholisch getauft.

00:05:51: Ich bin nicht getauft, ich bin muslimisch.

00:05:53: Das heißt ... - Die haben bei uns eine Ausnahme.

00:05:56: Also ihr wart jetzt die Ausnahme, okay.

00:05:58: Genau, bis zum Ende meiner Schulzeit waren wir beiden die Ausnahme.

00:06:01: Okay, ich musste jetzt gerade innerhalb von 20 Sekunden

00:06:04: mein gesamtes Bild über dich kommen.

00:06:06: Drei mal neue Sortieren irgendwie.

00:06:08: Und dann mit dem muslimisch unkatholischen ...

00:06:11: Direkt so zwei monotheistische Welt-Trailigung von Bus geworfen.

00:06:15: (Lachen)

00:06:17: Ja, aber ... Pass auf.

00:06:19: Das heißt, du warst auf dem Gymnasium

00:06:21: und bist dann gleichzeitig ...

00:06:25: auf eine Koran-Schule gegangen?

00:06:28: Ja, genau. Die Schule war ja in der Woche.

00:06:30: Und irgendwann, glaub ich,

00:06:32: meine Eltern hatten so ein bisschen Schiss,

00:06:34: dass wenn ich den ganzen Tag unter Christen abhänge,

00:06:37: dann bin ich ja nicht mehr da.

00:06:39: Wir hatten halt jede Dienstag in der ersten Stunde

00:06:41: immer ein Gottesdienst so.

00:06:43: Und es war generell auch sehr geprägt von religiösen Werten.

00:06:47: Also ...

00:06:48: Die Schule war direkt neben so einer Abteikirche.

00:06:51: Und das hatte total die Tradition.

00:06:54: Es war völlig normal, dass da über den Schulhof Nondengelaufen sind.

00:06:57: Oder der Farrer gelaufen ist.

00:06:59: Also religiöse Personen quasi so.

00:07:02: Und meine Eltern dachten sich dann so,

00:07:04: "Yo, bevor das passiert, dass der irgendwie

00:07:06: vom Heiligen Geist irgendwie erweckt wird,

00:07:09: versuchen wir mal dagegen zu steuern,

00:07:11: indem wir den am Wochenende in die Koran-Schule schicken."

00:07:14: Und so kam es halt, dass ich dann wirklich sieben Tage,

00:07:17: die Woche, wirklich Religion von allen Seiten so erlebt hab.

00:07:21: Ja, und das war wirklich ...

00:07:25: Ich mein, im Nachhinein ist da sehr viel Humor mit dabei.

00:07:28: Aber hättest du mich damals in der fünften Klasse gefahren ...

00:07:32: und sehr, sehr einsam gefühlt und sehr alleine?

00:07:34: Und das ist halt so ein Gefühl,

00:07:36: was sich sehr stark durchgezogen hat durch die Kindheit

00:07:40: und durch die Jugend so.

00:07:42: Hat dich irgendeine dieser beiden ...

00:07:44: Also, die eine ist ja eine Regelschule,

00:07:46: und die andere ist ja im Prinzip keine richtige Schule,

00:07:49: sondern eine Religionsgemeinschaft,

00:07:52: die da tatsächlich Kinderbeschulung war.

00:07:55: So ein bisschen wie Sonntagsschule,

00:07:57: ja, kann ich es mir wahrscheinlich vorstellen, oder?

00:08:00: Hast du diese beiden Schulen näher zu irgendeiner der beiden Religionen

00:08:04: gebracht oder hat dich das am Ende eher abgestoßen?

00:08:07: Boah, das ist eine sehr gute Frage.

00:08:09: Also ...

00:08:10: Ich glaub, es gab Phasen.

00:08:12: Also, es gab Phasen, wo ich ...

00:08:15: wirklich mich so krass irgendwann mit meiner eigenen Religion

00:08:20: identifiziert hab, dass ich das andere gehasst hab.

00:08:23: Weil halt so im Klassenzimmer-Kontext

00:08:26: manchmal halt wirklich die ganze Zeit so Fragen waren,

00:08:29: "Boah, Leute, Alter, ihr lebt echt im Mittelalter so."

00:08:32: "Ihr lebt in Duisburg so."

00:08:34: Also, wir leben halt nicht im tiefsten Niederbayern,

00:08:37: wo ihr keine Ausländer kennenlernt,

00:08:39: sondern die Fragen, die ihr mir hier stellt,

00:08:41: die sind halt echt unmöglich.

00:08:43: Und dann gab es aber wieder um Phasen,

00:08:45: ja, wo man anfängt, die eigene Religion

00:08:48: so ein bisschen kritisch zu reflektieren

00:08:50: und auch die eigene Sozialisation.

00:08:52: Also ...

00:08:53: Also, ich hatte zum Beispiel einen sehr tollen Religionslehrer,

00:08:58: der war Professor für Fundamentale Theologie.

00:09:01: Und ...

00:09:03: sein Unterricht hat mich eigentlich von beiden Religionen

00:09:06: auf einmal so ...

00:09:08: - Mhm. - kritisch distanzieren lassen.

00:09:10: Weil ich mir am Ende dachte,

00:09:13: "Hey, was ist denn, wenn das alles nur eine Einbildung ist?"

00:09:16: "Was ist denn, wenn es den nicht gibt da oben?"

00:09:18: Und das war halt echt so ein absolutes Chaos irgendwie.

00:09:21: Ähm ...

00:09:23: Und ich erinnere mich halt wirklich

00:09:25: an eine echt so tiefgründige philosophische Diskussion

00:09:28: auch so in meinem Freundeskreis.

00:09:31: Und es hat aber auch für Ärger gesorgt.

00:09:33: Wenn ich Sachen kritisiert hab, dass ich dachte,

00:09:35: "Hey, wir im Ostland, wenn wir beten, wir gehen immer hoch und runter."

00:09:38: Die Katholiken gehen einmal auf die Knie,

00:09:40: und das war's im Gottesdienst.

00:09:42: Warum ist das bei uns so überhaupt?

00:09:44: Und dann gibt's Leute, die da nicht cool drauf reagieren.

00:09:47: Einfach umsteuerte Fragen.

00:09:49: Das steht im Koran, was fragst du hier so rum?

00:09:52: Und gleichzeitig halt so ein ...

00:09:54: ... sicher, als ich das erste Mal da war.

00:09:56: Ähm, und der da irgendwie den Kälchter rausholt,

00:09:59: oder die Wein da rein tut.

00:10:01: Und ich mir denke, Digger, du kannst doch nicht vor Kindern Wein trinken.

00:10:04: Wird's nämlich verarschen, im Haus von Gott auch noch.

00:10:07: Also, das war für mich so ein Schock gewesen.

00:10:09: Das sind so echte Situationen,

00:10:12: da hab ich sehr, sehr lange gebraucht, um das zu verarbeiten.

00:10:15: Das ist superinteressant.

00:10:17: Ich war ja ...

00:10:18: ... in der größten Zeit meiner Jugend,

00:10:20: ich würd mal sagen, so von zehn bis ich zwanzig war,

00:10:24: in einer christlichen Freikirche,

00:10:26: beziehungsweise in einer tamilischen christlichen Freikirche.

00:10:29: Und, äh, wenn ich so ...

00:10:32: ... Gespräche über religiösen Radikalismus höre,

00:10:35: oder religiösen Fundamentalismus,

00:10:37: und wir besprechen das ja fast immer nur über Muslime in letzter Zeit,

00:10:41: dann kann ich gar nicht anders als an den christlichen Fundamentalismus so denken.

00:10:46: Das ist jetzt gar relativ weit weg von den Katholiken erst mal,

00:10:49: weil das ist ja eine sehr stark institutionalisierte Organisation,

00:10:52: die ist eine sehr institutionalisierte Gemeinschaft mit all ihren Problemen.

00:10:56: Aber was da in christlichen Kreisen passiert,

00:10:59: oder weite Teile meiner Familie sind Hindus,

00:11:02: was ich da teilweise auch sehe.

00:11:04: Ähm, und deshalb finde ich deine Biografie auch so spannend,

00:11:08: weil du so aus zwei sehr unterschiedlichen Eckend

00:11:12: wirklich konfrontiert wirst mit Religion und,

00:11:16: ich würd auch sagen, religiöse Ideologie, ne?

00:11:18: Und, ähm, hat das ...

00:11:22: dich vielleicht unabhängig davon, wie du heute zur Religion stehst,

00:11:25: aber hat dich das geprägt in einer Arbeit, die du heute machst?

00:11:29: Ja, ich glaub schon,

00:11:32: weil ich damals schon sehr früh extremste Widersprüche aushalten musste.

00:11:38: Mhm.

00:11:39: Und ...

00:11:41: 'ne Zeit hatte, wo ich das irgendwie harmonisch verbinden wollte.

00:11:45: Also, das war so 'ne große Sehnsucht,

00:11:47: dass dann alles so zu eins quasi so verschmilzt.

00:11:50: Und ich dann aber gemerkt hab, nee, das funktioniert nicht.

00:11:53: Also, man muss das auch akzeptieren,

00:11:55: wenn dann diese Widersprüche und Ambivalenzen da sind.

00:11:58: Äh, das kann's ja nicht irgendwie alles auf einen Nenner bringen.

00:12:01: Und ich glaube, dass genau das,

00:12:04: dieses Aushalten von unterschiedlichsten Lebenswelten,

00:12:08: ähm, diese Übersetzungsarbeit,

00:12:10: den anderen zu übersetzen, wie quasi die anderen drauf sind,

00:12:14: woran sie glauben, was ihre Werte sind und so weiter und so fort.

00:12:17: Also, das hat mich schon extrem geprägt.

00:12:19: Und das ist auch so 'n Skill, sag ich mal,

00:12:21: der wird mir erst heute so wirklich bewusst.

00:12:24: Das war damals für mich die ganze Zeit 'ne Belastung,

00:12:27: weil ich halt immer morgens dachte,

00:12:29: jetzt musst du den Christen wieder die Moslems erklären.

00:12:32: Wie ist denn dann Stadtteil, muss den Moslems die Christen erklären.

00:12:36: Also, ich war halt irgendwann total genervt, so.

00:12:38: Und heute denk ich mir so, boah, in deiner Kindheit

00:12:41: hast du irgendwie schon echt so dieses Skill so mitgebracht.

00:12:44: Und das hat mich definitiv sehr, sehr stark geprägt als Mensch auch.

00:12:48: Und das ist ja schon voll mit Schanne, als Kind schon.

00:12:51: Ja.

00:12:52: Du bist ja in Marxloh aufgewachsen.

00:12:55: An Duisburg in Marxloh.

00:12:57: Und Marxloh ist ja so ein ...

00:12:59: ähm, ist ja nicht nur ein Ort,

00:13:02: der halt irgendwie so 'nen Namen hat in dem Menschenleben

00:13:05: und irgendwie Menschen zur Arbeit gehen und Sachen passieren,

00:13:08: sondern es ist ja gewissermaßen auch ein Phänomen.

00:13:11: So ein bisschen wie ...

00:13:13: ähm, wenn ich deutschlandweit,

00:13:16: egal wo, ob jetzt irgendwie bei Polizeianwärtern

00:13:19: an der Hochschule oder woanders,

00:13:20: wenn ich Leute frage, kennen sie den Görlitzer Park?

00:13:23: Alle kennen den Görlitzer Park.

00:13:25: Keiner war jemals im Görlitzer Park.

00:13:27: Jeder kennt den Görlitzer Park.

00:13:29: Und so ein bisschen ist mit Marxloh,

00:13:31: ja, glaub ich auch, jeder kennt irgendwie Duisburg-Marxloh.

00:13:35: Selten waren die Leute dort

00:13:37: und ganz selten haben sie da positive Erlebnisse.

00:13:41: Was passiert, wenn du wieder so 'ne Duisburg-Marxloh-Referenz hörst

00:13:46: mit den üblichen Ausländer, Kriminalität, Muslime, Deezders?

00:13:50: Wenn du ein bisschen weiterkommst,

00:13:52: immerhin noch Hochzeitsläden,

00:13:54: aber dann hört's ja meistens schon auf.

00:13:56: Also wie geht's dir damit?

00:13:58: Hast du das Gefühl, ja, das stimmt,

00:14:00: da ist ganz schön viel kaputt oder denkst du,

00:14:02: ey, das ist hier doch meine Heimat, über die ihr redet?

00:14:05: Ich muss dir ganz ehrlich sagen, und da wird's ein bisschen polemisch,

00:14:09: wenn ich in den Medien Berichte über Marxloh höre,

00:14:12: dann kriege ich das kotzen.

00:14:14: Da kommt ein Kamerateam, filmt so ein, zwei Straßen,

00:14:17: die wirklich seit Jahrzehnten total vernachlässigt sind.

00:14:21: Und machen dann, bauen diese Bilder so auf,

00:14:24: als würden überall solche Zustände herrschen.

00:14:28: Also es ist halt wirklich total sensationsgeil.

00:14:31: Und so ein bisschen so, ja, wie so 'ne Art Disneyland,

00:14:35: um so arme und migrantische Menschen mal irgendwie wie so 'n Zoo,

00:14:39: mal zu besuchen, wie die da so leben.

00:14:41: Und das regt mich halt total auf,

00:14:43: weil mich hat das schon als Kind total genervt.

00:14:46: Also schon in der Schule, wo ich war,

00:14:48: wo ich gesagt hab, ich komme aus Ober-Marxloh,

00:14:50: war die Reaktion von Lehrern manchmal,

00:14:53: haben die irgendwie Angst bekommen,

00:14:55: dann haben die angefangen zu lachen.

00:14:57: Also es hat immer 'ne Reaktion ausgelöst.

00:14:59: Und wenn du halt so was erlebst in der fünften Klasse,

00:15:02: dann hast du halt nicht das Gefühl,

00:15:04: ich bin Teil der Gesellschaft und schön hier zu sein,

00:15:07: sondern du hast das Gefühl, was haben die gegen uns, man?

00:15:11: Also man ist automatisch so,

00:15:13: fühlt sich halt schon irgendwie so am Rand der Gesellschaft.

00:15:16: Und das zieht sich halt leider bis heute noch fort.

00:15:18: Also alleine gestern gab's halt echt 'ne Razzia in Hochheide,

00:15:23: da ist so 'n weißer Riese, nennt sich das,

00:15:25: das ist so 'n Hochhaus, da leben 1.600 Menschen.

00:15:29: Ach das.

00:15:30: Und da gab's 'ne Polizei-Razzia,

00:15:32: und dann haben die zwei gefunden, die den Abschieber Bescheid haben,

00:15:36: und haben aber an jeder Tür angeklopft

00:15:39: und haben da wirklich, sind da rein und rausgegangen.

00:15:42: Und ich denk mir so, ey, so was wird in 'nem reichen Stadtteil.

00:15:45: Wenn irgendetwas in Duisburg-Bahl, wo die ganzen Bonzen wohnen,

00:15:48: wenn da irgendjemand Steuer hinterzogen hat,

00:15:51: da würde man halt nicht die gesamte Gegend da fielzen

00:15:53: und gucken, ob die anderen auch Steuer hinterzogen haben.

00:15:57: Und das sind halt echt so Sachen,

00:15:58: du wechselt mit diesem Bewusstsein einfach von Kleinheit auf so.

00:16:02: Und du hast halt sehr viel Wut im Magen,

00:16:04: du hast sehr viel Frustration.

00:16:06: Du hast auch die Einstellung aus der Perspektivlosigkeit heraus,

00:16:10: schaffe ich mir Perspektiven.

00:16:12: Also du lernst es auch kreativ zu sein.

00:16:14: Und das ist 'ne Stärke, die für mich heute auch besonders wichtig ist.

00:16:18: Ich find das ja auch deshalb so interessant,

00:16:24: weil dein Aufwachsen ist ja geprägt davon,

00:16:28: dass Religion eine Rolle spielt, die so 'ne Möglichkeit birgt,

00:16:36: Menschen auszugrenzen oder in so 'ne Religionsgemeinschaft reinzuholen,

00:16:40: christlich versus muslimisch.

00:16:42: Dann herkommt das 'n Thema.

00:16:45: Also sind die Eltern Deutsch oder sind die türkisch oder kurdisch

00:16:48: oder was so immer, ist ja auch klar,

00:16:50: irgendeine Form von Mechanismus existiert da, den man ziehen kann

00:16:54: oder eben auch nicht, um Menschen auszugrenzen.

00:16:56: Und dann kommt ja noch der dritte Teil hinzu,

00:16:59: dass der Ort, wo du lebst, so verrufen ist.

00:17:02: Und das ist ja ein großer Unterschied.

00:17:04: Man denkt ja, viele Leute in diesem Land denken in so Uniformen,

00:17:11: irgendwie die Gastarbeiter, die Türken, die Ausländer, die Migranten.

00:17:15: Aber das Aufwachsen von, weil ich nicht jemals wie Gemöste bin,

00:17:18: der irgendwie völlig auf der schwäbischen Alb als Türke,

00:17:22: irgendwo der türkischstämmige aufwächst,

00:17:24: ist ja was völlig anderes als das, was bei dir passiert

00:17:27: oder bei deinen Kumpel, die in Duisburg magst,

00:17:29: wo da ja auch noch mal 'ne zusätzliche Schublade gescheckt werden.

00:17:33: Das kann man wahrscheinlich auseinanderdröseln,

00:17:36: aber was wäre denn so der Unterschied zwischen,

00:17:41: ich sag mal, dir und Gemöste mir, ist der ...

00:17:46: Also, was sind so die Themen, mit denen der zu tun hat?

00:17:50: Weil du merkst ja richtig, der ist ja Schwabe.

00:17:54: Der inszeniert sich ja als Schwabe.

00:17:56: Der will fucking schwäbischer Ministerpräsident werden.

00:17:59: Oder Baden-Württembergischer Ministerpräsident,

00:18:02: der weiß, das krieg ich ja wütender Zuhörer-Sendung.

00:18:05: Und bei den Leuten, die jetzt beispielsweise Neukölln sind,

00:18:09: die in Eisenbahnstraße leben in ...

00:18:12: Dresden ist ja, glaub ich ...

00:18:15: Nee, Leipzig ist ja, glaub ich.

00:18:17: Die in Eisenbahnstraße leben in Leipzig.

00:18:20: Oder eben in Duisburg-Marxloh.

00:18:22: Da merkst du ja, da passiert irgendwie so 'ne Verschmelzung

00:18:25: zwischen dem Migrantisierten und dem Ausgestoßenwerden

00:18:29: ihrer Heimat, in der sie leben.

00:18:31: Und da ist jetzt mal 'ne Frage, was ist das Potenzial,

00:18:34: aber was ist auch das Risiko?

00:18:36: Weil du hast ja dreifach Maginalisierung sozusagen.

00:18:40: Ja, guck mal, der größte Unterschied zwischen mir und Jeremy ist,

00:18:43: ich bin halt einfach cooler als er.

00:18:45: Auf jeden Fall. Das würde nicht mein Gemüse mehr bestreiten.

00:18:49: Und ich glaube halt wirklich ...

00:18:52: Also, ich hab ja halt auch so häufig so ...

00:18:56: Wir hatten zum Beispiel in Duisburg,

00:18:58: im Joke, so ja, die Ausländer, die in Bayern leben,

00:19:01: das sind keine richtigen Ausländer mäßig.

00:19:04: Weil die halt nicht diese ...

00:19:06: Weil die halt nicht diese Erfahrung von Lohnarbeit haben,

00:19:10: so, weißt du so, zwischenkroop, irgendwie Stallgeruch mäßig.

00:19:13: Die sitzt auf ihrem Make-Schemel, ja, irgendwie.

00:19:16: (Lachen)

00:19:17: Die haben Ausländer in Bayern in der Zeit irgendwie auf dem Feld arbeiten.

00:19:21: Die haben Schweine.

00:19:22: Ja, also das war so damals so unsere Art halt.

00:19:26: Ich mein, es gibt da natürlich irgendwie auch andere Lebenszustände und so.

00:19:31: Ich glaub aber, was meine Erfahrung so ...

00:19:37: noch mal ein bisschen anders ist.

00:19:40: Also, Duisburg ist ...

00:19:42: extrem geprägt vom Strukturwandel.

00:19:45: Also, wir haben, also gerade Marzloh,

00:19:47: hat immer noch so krass zu kämpfen mit den Folgen des Strukturwandels,

00:19:51: was die Zustände der Wohnung angeht,

00:19:54: was die Zustände der Straßen angeht,

00:19:56: was so die Stimmung der Menschen angeht.

00:20:00: Also, du merkst wirklich, ist so häufig, wenn Leute mich besuchen

00:20:03: und ich mit denen durch Marzloh gehe, viele sagen,

00:20:05: Boah, die Menschen hier haben eine Trauhochkeit.

00:20:08: Die Menschen sind irgendwie so ...

00:20:10: die wirken so müde und so gestresst.

00:20:13: Und gleichzeitig sind sie aber total humorvoll.

00:20:15: Und sind total locker und zugänglich.

00:20:19: Also, das ist so ...

00:20:21: echt, kommt so von sehr vielen verschiedenen Seiten.

00:20:24: Und ich glaub halt auch noch mal,

00:20:26: das was ein Unterschied ist, ist halt eben,

00:20:29: Du verlässt halt deinen Stadtteil nicht.

00:20:31: Also, Du bleibst halt da.

00:20:35: Und Du gehst halt nicht irgendwie in die Stadt

00:20:38: oder weiß ich nicht, in eine andere Stadt,

00:20:40: weil es halt erstens die Kohle halt fehlt.

00:20:42: So ein Ticket kostet hin und zurück 6, 7 Euro.

00:20:45: Kann sich halt keiner wirklich leisten.

00:20:47: Die Mobilität ist halt noch mal so eine ganz große Frage.

00:20:52: Und auf der anderen Seite ...

00:20:54: sind wirklich auch noch mal so Welten in Marzloh,

00:20:57: die mich schon immer begeistert haben.

00:20:59: Also, wir haben innerhalb der migrantischen Community

00:21:03: eine extreme Vielfalt.

00:21:05: Also, eine polnische Community, die total unterschiedlich ist.

00:21:09: Von religiös bis nicht religiös.

00:21:11: Wir haben eine große russische Community.

00:21:13: Wir haben eine südasiatische Community.

00:21:18: Wir haben Menschen aus Nordafrika.

00:21:21: Wir haben eigentlich so alles,

00:21:23: was du dir aus dem Nahen Osten vorstellen kannst,

00:21:25: ist halt in Marzloh.

00:21:26: Und auch da ist die Diversität auf politischer Ebene total anders.

00:21:31: Also, ich kann mich daran erinnern.

00:21:33: In meiner Kindheit wurde der Anführer der PKK,

00:21:37: Abdullah Öcalan, 1997 festgenommen.

00:21:40: Und es gab in Marzloh Straßenschlachten

00:21:42: zwischen Rechten und Linken.

00:21:47: Also, unsere Eltern haben uns verboten und gesagt,

00:21:49: ihr geht da nicht hin.

00:21:51: Da ist wirklich so Straßenbarriere-mäßig.

00:21:54: Da ist so richtig die Luzi am Abgehen.

00:21:56: Und du merkst halt irgendwie,

00:21:58: dass außenpolitische Sachen sofort im Stadtteil verhandelt werden,

00:22:02: sich ausgeprägt sind.

00:22:05: Und auch heute noch.

00:22:06: Also, wenn heute in der Sache in der Türkei Dinge passieren,

00:22:09: dann findest du ein Graffiti an den Wänden in Marzloh.

00:22:12: Also, ist es halt sehr politisch.

00:22:14: Nicht nur die Politik in Deutschland

00:22:16: ist da quasi sichtbar,

00:22:18: sondern halt auch die Politik in gefühlt allen anderen Ländern.

00:22:22: Und das ist für mich aber auch so eine Sache,

00:22:24: die wird ja von außen immer problematisiert.

00:22:27: Also, dass dann auch so Sachen Leute sagen,

00:22:29: ja, das ist wie Gaza oder sonst wie.

00:22:31: Was man ja jetzt im Sommer bei der Welt irgendwie hören durfte.

00:22:35: Diese Einstellung habe ich halt gar nicht.

00:22:38: Die Menschen haben halt Zugänge zu unterschiedlichen Erinnerungsräumen

00:22:42: erst mal durch Migration und Flucht geprägt.

00:22:44: Und sie haben Zugänge zu unterschiedlichen Lebenswelten,

00:22:47: was für mich eigentlich was sehr, sehr Positives ist.

00:22:50: Weil wenn du mich in eine polnische Familie steckst,

00:22:53: ich kann mich innerhalb von einer Minute weiß ich, wie die Codes sind.

00:22:57: Du kannst mich in eine russische Familie stecken,

00:22:59: in eine arabische Familie stecken.

00:23:01: Ich kann zwitschern innerhalb von wenigen Sekunden,

00:23:04: weil das halt normal war bei uns im Stadtteil.

00:23:07: Und das ist auch diese Diversität nicht als Problem darstellt,

00:23:10: sondern als eigentlich eine unschätzbare Ressource,

00:23:14: die ich für mich persönlich ist,

00:23:16: das ist eines der schönsten Sachen.

00:23:17: Deswegen sage ich auch immer wieder,

00:23:19: Marksloh, Obermarksloh, Dichterviertel,

00:23:22: das ist die geilste gegen den ganzen Deutschland.

00:23:24: Da muss ich jetzt natürlich als Wuppertaler

00:23:27: zumindest erst mal, das muss ich wegatmen, sagen wir mal so.

00:23:30: Aber ich bin ja höflich meinen Gästen gegen immer.

00:23:33: Aber bleiben wir mal dabei.

00:23:35: Du hast gesagt, dein Lebensmotto ist,

00:23:37: man muss dahin gehen, wo es wehtut.

00:23:39: Mhm. - Wo gehst du hin?

00:23:42: Ähm, ich geh in die Konflikte rein.

00:23:46: Ich geh in die Auseinandersetzung rein,

00:23:49: weil ich hasse Smalltalk, ich kann das nicht.

00:23:51: Ich kann nicht Leute kennenlernen

00:23:53: und die ganze Zeit auch so oberflächlichen,

00:23:56: ebenen Diskussionen oder ich werd ja manchmal auch,

00:23:59: dann irgendwie mal zu so Abendessen in den Eingeladen

00:24:01: von Organisationen oder sonst wie.

00:24:04: Und ich finde diese Smalltalk eben ne grauenhaft.

00:24:07: Also ich will halt direkt ans Eingemachte, ne?

00:24:09: Und da ist halt auch so das, was ich aus Duisburg mitbringe.

00:24:13: Die Leute zu fragen, wo kommst du her, was deine Geschichte,

00:24:17: was sind deine Ziele, was sind deine Werte, woran glaubst du?

00:24:20: Und ich finde halt eben, ja, genau in diese Konflikte reinzugehen

00:24:25: und die zu verhandeln, die finde ich halt total wichtig.

00:24:29: Und nicht irgendwie immer so Konflikte scheuen

00:24:32: und so eine gewisse Verhinderungskultur leben,

00:24:34: wie das ja in Deutschland sehr, sehr weit verbreitet ist.

00:24:38: Wir haben ja von nichts gewusst.

00:24:39: Ja, ne? Also, das ist halt echt so ne Nummer.

00:24:43: Da konnte ich noch nie was mit anfangen,

00:24:47: weil ich einfach auch in Konflikte geworfen wurde in meiner Kindheit.

00:24:51: Also ich hab's mir halt nicht ausgesucht,

00:24:53: diese ganzen Konflikte mit Koranschule und privates Gymnasium und so.

00:24:57: Aber irgendwann musst du halt auch gucken,

00:24:59: was kann ich Positives aus der ganzen Nummer halt mitnehmen.

00:25:02: Und das ist halt nicht nur Resilienz,

00:25:04: sondern wirklich ne gewisse Form von Konfrontationsfreude.

00:25:08: Ich weiß nicht, ob du diesen Podcast kennst.

00:25:12: Wir müssen spielen.

00:25:13: Und wir werden mindestens einen, vielleicht sogar zwei Spiele machen.

00:25:18: Und das eine Spiel heißt "Ganz schön knapp".

00:25:21: Also du hast jetzt 60 Sekunden.

00:25:23: Ich werde total viele Fragen so abballern,

00:25:26: wie im amerikäischen Präsidentschaftswahlkampf.

00:25:29: Und du musst so schnell wie möglich antworten.

00:25:31: Damit du viele Fragen durchbekommst.

00:25:33: Ja, bist du ready? - Ja, auf jeden Fall.

00:25:35: (Dynamische Musik)

00:25:36: "Ganz schön knapp, alles auf Zeit."

00:25:42: Was hast du zuletzt schönes Geschenk bekommen?

00:25:46: Datteln mit Pistazienmus.

00:25:49: Ah.

00:25:50: Mhm.

00:25:51: Welche App hat dein Leben verändert?

00:25:54: Äh, Instagram.

00:25:56: Welches Buch liegt auf deinem Nachtisch?

00:25:59: Ähm, Story Genius.

00:26:01: Welche Musikerin findest du nur heimlich toll?

00:26:07: Hm ... nur heimlich. - Musiker oder Musikerin?

00:26:12: Oder Jürgens.

00:26:13: Was sagst du wirklich häufig?

00:26:15: Voila.

00:26:18: (Lachen)

00:26:19: Auf wen bist du neidisch, ohne misgünstig zu sein?

00:26:24: Michael Jackson.

00:26:26: Ich wollte immer so tanzen wie der.

00:26:28: Was ist dein geheimes Talent?

00:26:30: Äh, ich würd sagen Kochen.

00:26:33: Mhm.

00:26:35: Was hättest du besser nie begonnen?

00:26:37: Politische Bildungsarbeit.

00:26:41: Womit längst du dich gerne ab?

00:26:44: Sport.

00:26:46: Was hast du zuletzt schönes Geschenk bekommen?

00:26:49: Hm, ich mach noch Datteln mit Pistazienmus.

00:26:52: Das hatt ich schon.

00:26:54: (Lachen)

00:26:57: Was machst du, wenn die Welt morgen untergeht?

00:26:59: Äh, dann zünd ich die an.

00:27:01: (Lauter Knall)

00:27:02: Jawohl.

00:27:05: Nein. Unser Udo Jürgens, das müssen wir natürlich nachbesprechen.

00:27:08: Ähm, warum, welche Songs, wie bist du auf den gestoßen, alles.

00:27:12: Also, guck mal, Udo Jürgens Story ist echt ziemlich geil.

00:27:16: Ich war bei ...

00:27:18: bei mir zu Hause und hab im CTF liefen so alte Hitparaden und so.

00:27:24: Mhm.

00:27:26: Und ein Lied von Udo Jürgens lief, ähm,

00:27:28: irgendwie was mit Drachenflieger oder so.

00:27:31: Das ist so ein Song, den der an seinen Sohn ... ähm,

00:27:34: ähm, geschrieben hat.

00:27:36: So nach dem Motto "Ich war nicht dafür da",

00:27:39: ich dachte immer, der will irgendwie Geld,

00:27:41: und Materialismus, bla, bla, und dann sagt der Sohn,

00:27:44: "Nee, Papa, ich will nur mit dir in Drachen fliegen."

00:27:47: Ich hatte so eine krasse Gänsehaut bei diesem Lied.

00:27:50: Und ich hab halt in meinem Freundeskreis,

00:27:52: wir haben halt alle so ein Papa-Komplex.

00:27:55: Also, wir kommen nicht drauf klar,

00:27:58: dass unsere Väter früher sehr krass autoritär waren

00:28:01: und heute total lieb und nett sind und mit uns über Gefühle reden wollen.

00:28:05: Das ist so etwas, worauf ich nicht klage.

00:28:07: Ich hab das an meine Jungs geschickt, und die waren alle wirklich ...

00:28:11: Die haben gesagt, boah, ich hab Gänsehaut,

00:28:13: ich heul gleich und sonst wie.

00:28:15: Also, dass dieses Lied irgendwie ...

00:28:17: Ich kannte den halt vorher gar nicht.

00:28:19: Aber das Lied, das hat mich echt weggehauen.

00:28:22: Ich mach auch manchmal mit den Studis an der Hochschule

00:28:25: ein bisschen hier Einwanderungsgesellschaft und Gastarbeiter.

00:28:29: Und ich spiel dann immer das Lied "Griechischer Wein".

00:28:32: Mhm. - Und fast alle kennen das Lied.

00:28:35: Und fast alle kennen das von den Eltern oder Großeltern so, ne?

00:28:39: Wenn du nicht mehr so ...

00:28:41: dann weinseligen Abend hast, dann kommt irgendwann "Griechischer Wein".

00:28:45: Was aber kaum einer weiß, ist, dass es da ja um die Sehnsucht

00:28:48: der griechischen Gastarbeiter geht.

00:28:50: Und die Leute, die da auch so richtig sind zu ihren Familien nach Hause wollen

00:28:54: und das Kind, das getrennt auch von seinen Vater,

00:28:57: seit vielen Jahren und so.

00:28:59: Dann hören die das erste Mal das Lied richtig.

00:29:02: Und sind auch total hin und weg.

00:29:04: Und dann hab ich ein bisschen Udo Jürgens Promotion gemacht.

00:29:08: Aber genau, ich glaube auch, ein Künstler,

00:29:11: der deutlich zu wenig antizipiert wird, irgendwie, ja.

00:29:16: Mit dem, was er schon damals geschrieben hat,

00:29:18: der ist ein richtiger Ehrenmann.

00:29:20: Der hat auch noch so ein anderes tolles Lied,

00:29:23: "Ehren wertes Haus", heißt das.

00:29:25: Da beschreibt er, wie sein Vermieter den Rausch schmeißen will,

00:29:28: weil der mit seiner Freundin unverheiratet ist.

00:29:31: Und dann sagt er aber, der Typ unter mir, der seine Tochter schlägt.

00:29:35: Oder die Nachbarin neben mir, die einen schwarzen Mann nicht haben möchte,

00:29:39: das ist für den in Ordnung.

00:29:41: Aber dass ich hier mit der unverheiratet bin, das ist halt nicht okay.

00:29:45: Also, der hat schon richtig gute, richtig krasse Lieder auf jeden Fall.

00:29:48: Und dann Udo Jürgens, Steven Palaggan, Burak Elmas,

00:29:51: Feiern Jürgens, richtig gut.

00:29:54: Kurze Werbeunterbrechungen eigener Sache.

00:29:57: Mit Veto geben wir Aktivismus eine mediale Bühne.

00:30:00: Wir erzählen von denen, die aufstehen und ihre Stimme erheben.

00:30:04: Was sie wollen, was sie antreibt,

00:30:06: das lest ihr jede Woche neu auf Veto-Magazin.de.

00:30:09: Du hast ein Buch geschrieben.

00:30:17: Das heißt, Ehrensache kämpfen gegen Juden.

00:30:20: Du gibst Workshops an Schulen,

00:30:22: du hast das Projekt "Junge Muslime in Auschwitz" initiiert.

00:30:25: Und du berätst im Bundestag zum Thema Antizemitismus.

00:30:29: Wie kam es, dass du auf dieses Thema gekommen bist?

00:30:32: Also, ich hab nach meinem Abitur Deutsch und Englisch auf Lehramt studiert.

00:30:39: Und wollte nebenher praktische Erfahrungen sammeln.

00:30:43: Ich fand dieses Theorielastige an der Universität grauenhaft.

00:30:47: Ich hab angefangen, in dem Jugendzentrum,

00:30:49: wo ich früher als Betreuer war, zu arbeiten.

00:30:53: Ich hab damals eine muslimische Jugendgruppe betreut,

00:30:56: die auf einer Gesamtschule war.

00:30:58: Und diese Gesamtschule hat Gedenkstättenfahrten nach Auschwitz organisiert und hat dann wirklich

00:31:05: tatsächlich Folgendes gemacht.

00:31:07: Die haben die muslimischen Schüler nicht mitgenommen mit dem Argument, die sind ja

00:31:12: eh alle antisemitisch und in der Gedenkstätte werden die sich richtig daneben benehmen.

00:31:16: Und im Laufe des einen Nachmittags, wo halt irgendwie alle von dieser Schule zu mir kamen,

00:31:22: habe ich bei der ersten Story, die ich gehört habe, erst mal, da kann er gar nicht wahr sein,

00:31:25: das stimmt nicht.

00:31:26: Der bildet sich da was ein.

00:31:27: Man kann nicht pauschal sagen, wir nehmen die muslimischen Schülerinnen und Schüler nicht

00:31:32: mit.

00:31:33: Und dann, als im Laufe des Nachmittags immer mehr Jugendliche reinkam und gesagt haben,

00:31:38: wir wollen diesen Ort auch besuchen, wir wollen uns das auch angucken, warum dürfen wir nicht

00:31:41: mitfahren und so weiter, habe ich echt aus so einer spontanen Laune herausgesagt, ja,

00:31:44: dann fahren wir halt übers Jugendzentrum dahin.

00:31:46: Also das war überhaupt nicht durchdacht, sondern einfach nur so eine spontane Reaktion, dass

00:31:51: ich dachte, wenn ihr ausgeschlossen werdet, mach ich die Tür wieder auf, sodass wir da

00:31:54: wieder hinfahren können.

00:31:55: Und so kam das halt.

00:31:58: Und im Laufe dieser Arbeit habe ich natürlich mit Jugendlichen auch gearbeitet, die wirklich

00:32:06: genau solche Erfahrungen leider auch täglich gemacht haben.

00:32:08: Also Thema Armut war eigentlich so eines der wichtigsten Themen.

00:32:12: Thema Rassismus war ein ganz großes Thema.

00:32:15: Und aber auch Antisemitismus.

00:32:18: Also ich hatte im Jugendzentrum eben auch Jugendliche aus Familien, die kamen aus islamistischen

00:32:25: und türkisch-nationalistischen Familien.

00:32:27: Und das war so eine Sache, die schon zu meiner Zeit in den 90ern, die mir schon sehr, sehr

00:32:33: stark aufgefallen ist, dass da gewisse Vereine und Organisationen sehr weit verbreitet sind

00:32:39: in dem Stadtteil.

00:32:40: Und dass man, dass ich schon als Kind auch irgendwie so das Gefühl hatte, ich finde das

00:32:46: nicht okay.

00:32:47: Aber jetzt so als Erwachsener war so der Anspruch da, etwas zu verändern, weil ich halt gemerkt

00:32:52: habe, dass die diese Ideologie halt sehr stark verbreiten.

00:32:56: Und dass die leider auch, wenn Menschen arm sind, sind sie halt zugänglich.

00:33:03: Dann sind sie halt frustriert und dann sind sie auch der Suche nach Antworten.

00:33:07: Und diese Organisation haben es halt echt verstanden, gerade in solchen Stadtteilen

00:33:12: halt aktiv zu sein, eben für ihre Ideologie und für ihre Vereine sucht zu werben.

00:33:17: Und gleichzeitig waren wir aber auch wichtig zu sagen, Leute, wenn ihr keine Politik für

00:33:22: Marxlow macht, natürlich steigt hier die Frustration und die Wut und die Armut.

00:33:27: Wir müssen halt etwas tun.

00:33:29: Also aus so einem Veränderungsmodus heraus.

00:33:33: Also mir ging es nicht nur um diese Themen, mir ging es eher auch um eine strukturelle

00:33:37: Veränderung des Stadtteils bis hin zu ich möchte die Köpfe verändern und vor allen

00:33:44: Dingen möchte ich den Leuten mitteilen, dass wenn uns niemand hilft und wenn uns niemand

00:33:49: sieht, dann müssen wir uns selber helfen und uns selber aus der Scheiße rausholen.

00:33:53: Hast du um jetzt mal noch bei diesem Thema Antisemitismus zu bleiben das Gefühl, dass

00:34:01: du als Person oder deine Arbeit instrumentalisiert werdet in letzter Zeit?

00:34:05: Also wir reden ja relativ viel über Antisemitismus neuerdings.

00:34:07: Ich habe teilweise auch schon den Satz gehört, dass der Antisemitismus mit 2015 und in

00:34:14: der Flüchtlinge nach Deutschland kam.

00:34:19: Da musste ich doch einmal recht herzlich lachen mit Erinnerung an mein Geschichtsunterricht.

00:34:21: Und wir reden ja relativ viel über den Antisemitismus der Migranten, wohin gegen dann so Sachen

00:34:26: wie Halle zum Beispiel völlig in den Hintergrund rücken.

00:34:28: Hast du das Gefühl, dass deine Arbeit Antisemitismus insbesondere in diesen migrantischen Communities

00:34:37: zu bekämpfen von, ich sage jetzt mal ganz deutlich, rechten genutzt wird, um in diesem

00:34:44: Fahrwasser sich selber so ein bisschen reinzuwaschen?

00:34:46: Ja und zwar nicht nur von rechten, sondern ich muss dir auch sagen auch von eigentlich

00:34:51: allen anderen politischen Parteien, die dann quasi sagen wollen, so hier guck mal, da macht

00:35:02: jemand was dagegen, das ist so einer von den guten Ausländern.

00:35:05: Und so diese gute Ausländer, böse Ausländerlogik ist halt in meiner Arbeit sehr weit verbreitet.

00:35:10: Ich gehe da aber sehr konfrontativ und offen mit um.

00:35:13: Also ich liebe es zum Beispiel, wenn ich zu diesem Thema eingeladen werde und alle denken,

00:35:19: oh jetzt wird ein bisschen über die Moslems abgeladen, ist das geil so.

00:35:21: Entweder.

00:35:22: Dass ich denen das vielleicht am Anfang so ein bisschen gebe, aber dann rede ich darüber,

00:35:30: wie ich im Jugendzentrum auch in deutschen Familien gearbeitet habe und auch in deutschen

00:35:35: Familien begriffen habe, dass dort Antisemitismus über das Schweigen vermittelt wird.

00:35:40: Und das war für mich auch eine neue Erfahrung, weil ich hatte ja keinen Plan davon, aber

00:35:46: das halt irgendwie auch nochmal zu sehen, wie zum Beispiel dann auch gar nicht die eigene

00:35:52: Familienbiografie aufgearbeitet wird, dass dieses Thema komplett von der eigenen Familie

00:35:58: da weggedacht wird und auch verdrängt wird.

00:36:00: Das ist halt so ein Klassiker in meiner Arbeit und in der Regel sind die Leute dann total

00:36:05: sauer.

00:36:06: Also ich hatte eine Situation, da schreibe ich auch in meinem Buch, da schreit ein alter

00:36:11: Mann in einen Saal in Hannover, da waren 400, 500 Leute und er schreit von der letzten Reihe

00:36:16: Merkel hat eine Million Antisemiten ins Land gelassen und ich bin vorne am Podium und ich

00:36:23: sage nach uns, dann sind wir jetzt 83 Millionen Antisemiten.

00:36:28: Aber weißt du was die Reaktion ist?

00:36:31: Der Spruch von diesem alten Mann, der bekommt Applaus und bei meinem Spruch verlassen die

00:36:36: Leute den Saal.

00:36:37: Und das ist so die Doppelmoral in dieser Debatte, die halt wirklich mich total aufregt und ich

00:36:44: wirklich manchmal so wirklich denke, ich möchte gar nicht mehr in der Öffentlichkeit so wirklich

00:36:49: über das Thema reden, weil ich habe kein Bock, so dieser, weißte so dieser Migrantenclown

00:36:55: zu sein, der dann so irgendwie in so einer Show weißte so irgendwie weiße nicht den Leuten

00:37:00: erklärt, was da so Sache ist.

00:37:02: Ich finde halt eher und deswegen finde ich das halt einfach auch noch mal so wichtig

00:37:07: als Message, dass ich halt immer wieder sage, der Kampf gegen Antisemitismus, der Kampf

00:37:11: gegen Rassismus, der beginnt hier oben in meinem eigenen Kopf.

00:37:14: Das ist der Ansatz, den ich so fahre.

00:37:17: Würdest du sagen, dass, ich meine du hast es ja gerade gesagt mit dem Stadtteil der Armut,

00:37:23: dieser Empfänglichkeit.

00:37:24: Also es klingt ja manchmal so, wenn man sich damit auseinandersetzt und das ist ja ein

00:37:30: bisschen auch das, wo das hinführt, was du sagst, dass wir eigentlich kaum einer anderen

00:37:37: Stelle haben rauskommen können heute in der Geschichte.

00:37:40: Also wir haben enorm viele Menschen als Gastarbeiter nach Deutschland geholt.

00:37:43: Wir wollten sie nicht integrieren, wir haben sie in irgendwelche Ghettoes zusammengepfercht.

00:37:51: Wir wollten nicht, dass ihre Religion irgendwie in der Stadt Mitte stattfindet, sondern irgendwie

00:37:56: immer in so sogenannten Hinterhofmuschets oder Muschén.

00:38:01: Wir wollten auch nicht genau hingucken, was da gepredigt wird, wie die sich organisieren,

00:38:06: dann sind die Leute verarmt.

00:38:07: Das Interessante ist ja bei der AfD und ihrem Erfolg in Ostdeutschland beispielsweise genau,

00:38:13: was das Argument.

00:38:14: Den Leuten geht es schlecht, also wählen sie die AfD, aber kaum einer macht den Transfer

00:38:18: und sagt den Migranten, denen geht es wirtschaftlich schlecht oder leben in sozialen schwierigen

00:38:22: Verhältnissen, deshalb wählen sie extremistisch, sondern die sind so wegen ihrer Religion.

00:38:27: Aber die Ostdeutschen sind irgendwie Opfer ihrer Umstände und ich frag mich, das ist nämlich

00:38:31: die Frage, hätte es überhaupt eine andere, hätten wir einen anderen Punkt erreichen können

00:38:38: mit dieser Nichtintegration von drei Generationen Ausländer, die in diesem Land leben?

00:38:43: Also auf jeden Fall hätte man das anders machen können.

00:38:45: Ich kann dir ein familiäres Beispiel nennen.

00:38:47: Mein Opa kam 63 nach Deutschland als Gastarbeiter und in seinem Gastarbeiter Ausweis gab es

00:38:53: nur drei Wohnbezirke zur Niederlassung.

00:38:55: Das nannte man damals Residenzpflicht, das war Duisburg-Beg, Bruckhausen und La.

00:39:00: Und wenn du noch heute durch diese Stadtteile gehst, das ist direkt am Tissenkruppgelände

00:39:05: und ich stell mir vor in den 60ern, wo diese ganzen Werke noch aktiv waren, das muss umweltmäßig,

00:39:11: das muss da so verpestet in der Luft gewesen sein und diese Menschen haben direkt am Werk gewohnt.

00:39:16: Das ist die erste Nummer.

00:39:19: Und auch später, als diese Residenzpflicht aufgehoben wurde, hat mein Opa dann erzählt,

00:39:24: ja dann haben wir uns zwar auch Wohnungssuche gemacht, ein bisschen weiter im Stadtkern,

00:39:28: aber wer gibt hier dann eine Wohnung?

00:39:31: Die Vorurteile der Leute sind ja trotzdem irgendwie da.

00:39:34: Meine Eltern wiederum sind halt in Obermarksloh gelandet, weil sie dort angenommen wurden,

00:39:41: also die haben sich natürlich auch in anderen Stadtteilen beworben, aber so ein junges Paar

00:39:45: hieß erstmal, ne, die werden 5, 6, 9, 10, 12 Kinder machen direkt, also da, das waren

00:39:50: halt echt so Aussagen von so Vermietern, die die halt dann so erleben durften.

00:39:54: Und auch jetzt, heute, die Wohnung, in der ich heute lebe, im Stadtzentrum, die habe

00:40:00: ich nur durch private Kontakte bekommen.

00:40:02: Ich habe alle Wohnungen, es waren so komische Reaktionen von Vermietern, es waren so unangenehme

00:40:07: Gespräche, dass die halt wirklich auch nochmal dachten, hey, irgendwie singel, muslimischer

00:40:12: Mann, was will der alleine machen, eine Terrorzelle da oben gründen oder was.

00:40:16: Und das sind halt echt so Sachen, man hätte diese Politik anders gestalten können und

00:40:21: vor allem hätte man die Integrationspolitik anders gestalten können, weil man hat es

00:40:25: gerade in Duisburgern-Norden immer nur mit zwei Strömungen zusammengearbeitet, entweder

00:40:32: mit islamistischen oder mit türkisch-nationalistischen Strömungen.

00:40:35: Man hat diese Organisation aufgebaut, man hat diese Verbände stark gemacht und den quasi

00:40:41: die Stadtteile überlassen.

00:40:43: So nach dem Motor spielt immer ein bisschen so die Polizei da bei euch in der Rhythmäßigkeit

00:40:46: so.

00:40:47: Und andere progressive Strukturen, die wurden halt komplett fallen gelassen und es gab

00:40:53: von Anfang an diese progressive Struktur.

00:40:55: Mein Opa, der 63 hierhin kam, erzählt mir, dass 64 die ersten Demonstration von migrantischen

00:41:02: Arbeiterinnen und Arbeitern war, weil die gesagt haben, hey, wir wollen halt ein bisschen

00:41:06: mehr Geld verdienen so, das Geld, was wir ihr verdienen, das geht gar nicht.

00:41:08: Und dann später in den 70ern auch mit Ford gab es ja eben diese größeren Arbeiterstreiks,

00:41:14: die wurden ja halt auch eben quasi alle niedergemacht und man hat sich dann halt eher auf diese autoritären

00:41:21: Strömungen in den Communities verlassen und diese Strömung halt mit aufgebaut.

00:41:25: Ja, und jetzt wundert man sich, wo kommt das alles her?

00:41:28: Also das ist alles politisch verursacht und die deutsche Politik ist da maßgeblich für

00:41:34: verantwortlich.

00:41:35: Wo man heute, das ist ja total, ich liebe Geschichte, ja, ich liebe es, wenn man genauer hineinguckt,

00:41:41: was früher so war, wenn man heute sich über die grauen Wölfe erregt, zurecht als faschistische

00:41:48: Organisation, dann darf man auch nicht vergessen, dass Franz Josef Strauß, die mit Geld und

00:41:55: Unterstützungsleistungen nach Deutschland geholt hat, und zwar um genau das zu zerschlagen,

00:42:01: was du gesagt hast, nämlich Arbeiteraufstände und die plötzliche, gewerkschaftliche Organisation

00:42:05: von Gastarbeiter, die sich das alles nicht mehr gefallen lassen wollten.

00:42:08: Ja.

00:42:09: Und schon davon, so muss man sich immer vorstellen, da hat der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß

00:42:16: diese türkischen Faschos gestärkt und noch nach Deutschland eingeladen, weil der kein

00:42:22: Bock hatte, dass sich Arbeiter in den Werken, in den Industriewerken und Automobilbetrieben,

00:42:29: dass die sich gewerkschaftlich organisieren.

00:42:31: Das ist ja völlig absurd.

00:42:33: Und heute knallen wir irgendwie auf die Türken und Migranten und die ganzen Communities irgendwie

00:42:39: drauf, weil die Faschos irgendwie so stark sind, nachdem man die halt selber nach Deutschland

00:42:43: eingelandert hat.

00:42:44: Und das ist so ein schönes Beispiel für so unendlich vieles, was in den letzten Jahren

00:42:50: jetzt hinten irgendwie passiert.

00:42:51: Und weißt du, was das schlimmer auch noch ist, wenn wir über das Ruhrgebiet sprechen?

00:42:55: Der Strauß hat ja Kontakt aufgenommen zu Alpastan Türkisch, das ist so der Chefideologe

00:42:59: der Grauen Wölfe.

00:43:00: Und der hat in den 90ern in der Essenagruger Halle eine Rede gehalten und gesagt, Leute,

00:43:09: engagiert euch in Deutschland politisch, geht in die CDU rein, aber macht bitte Politik

00:43:15: für die Türkei.

00:43:16: Und die Leute im Saal jubeln so, ja, danke schön, auch was man haben kann.

00:43:22: Also das ist halt echt so.

00:43:25: Und weißt du, dann werde ich dann, also ich habe mal so einen Vortrag im Innenministerium

00:43:30: gehalten, dann habe ich das erzählt und alle gucken mich an wie so ein Pferd und denken

00:43:34: so, hey, das ist wirklich passiert, davon wussten wir ja gar nichts.

00:43:36: Und ich mir denke, Digger, wer macht hier Innenpolitik, macht ihr Innenpolitik oder ich so?

00:43:40: Also das sind echt die Sachen, wo ich mir denke, Wahnsinn, die kriegen nicht mal diese

00:43:44: Zusammenhänge und diese Ursachen hin, wollen mir dann aber erzählen, ja, warum integrieren

00:43:48: sich die Ausländer nicht?

00:43:49: Ja, dasselbe geht es mir auch so, wenn ich über Kriminalstatistik und Ausländer spreche

00:43:55: und ich dann sage, ja Leute, ey, immer waren Ausländer überrepräsentiert, am Anfang waren

00:44:00: Italiener die überrepräsentiert, weil die haben immer Messer mit sich geführt, das

00:44:04: waren diejenigen, vor denen man gewarnt hat, die Südeuropäer und in Gaststätten gab es

00:44:10: Schilder, Hunde und Italiener verboten, die die Polizei und die Rettungswagen sind nicht

00:44:16: zum Italiener Lager gefahren in Wolfsburg, wenn denen irgendwas passiert ist oder die

00:44:20: niedergeschlagen wurden.

00:44:22: Es gab Lieder, Franz-Josef Degen hatte davon schreibt, wie die den Italiener umbringen,

00:44:27: nachdem der vorher den Polier erstochen hat und so weiter und so weiter, das war Italiener,

00:44:31: das kann man sich gar nicht vorstellen.

00:44:32: Da denke ich mir auch so krass, also es ist wirklich schon ein strategisches Vergessen

00:44:37: oder teilweise auch ein strategisches Dummstellen oder nicht wissen wollen, welche Verhältnisse

00:44:43: und wie die Entwicklung der Mehrheitsgesellschaft sind gegenüber Minderheitsgesellschaften seit

00:44:48: immer schon.

00:44:49: Ob sie jetzt Heimatvertriebene sind oder Ostdeutschen, die hier nach Westdeutschland kommen, Leute

00:44:53: aus dem ehemaligen Jugoslawien, Vietnamesen, heute heißt es immer die super integrierten

00:44:59: Asiatten, aber in Ostdeutschland gab es den Volkssport Fijis Klatschen, da sind ja vorausgegangen

00:45:03: haben, welche Asiatischen Menschen verprügelt.

00:45:05: Also das hat es ja alles gegeben und heute ist alles vergessen.

00:45:09: Alles ist vergessen und man steht wie der Ox vom Berg und wundert sich, warum die Ausländer

00:45:13: uns irgendwie auf den Aser rumtanzen und das ist völlig absolut.

00:45:16: Wir müssen nochmal spielen, glaube ich.

00:45:20: Sehr gut.

00:45:21: Das hilft ja nichts in diesem Podcast.

00:45:25: Es gibt Spielepflicht.

00:45:26: Das Spiel heißt ganz schön mutig und es geht darum, dass du einen Moment teilst, in dem

00:45:38: du oder jemand anderes Mut bewiesen hat, widersprochen hat oder und da kommt jetzt quasi unser Magazin

00:45:45: Spiel, sein Veto eingelegt hat, um sich aktiv für eine gute Sache einzusetzen.

00:45:50: Also ein Moment des Widerstands, der dich berührt hat oder der dir in Erinnerung geblieben ist.

00:45:56: Boah, ganz schön mutig.

00:46:02: Dein Veto Moment.

00:46:06: Du kannst.

00:46:11: Achso, ich soll einfach drauf losreden.

00:46:14: Ja genau.

00:46:15: Achso.

00:46:16: Schade, dass das Video nicht aufgenommen wird, weil wir uns einfach zwei Sekunden lange

00:46:20: wiegegenzeitig zunicken.

00:46:22: Nee, also ein toller Veto Moment war tatsächlich in meiner Jugendzeit.

00:46:33: Da gab es einen Familientreffen und einer von den älteren Verwandten hat so ein bisschen

00:46:40: versucht, die Mädchen dazu zu animieren, den Tisch abzuräumen.

00:46:44: Und meine Tante hat sich das angeguckt und hat gesagt, so ja, räumt du doch den Tisch ab.

00:46:52: Na ja, was in der Situation für den Mann total unhöflich halt war, aber meine Tante hat es

00:46:56: halt echt hingekriegt, dass sein Sohn dann am Ende den Tisch abgeräumt hat.

00:47:01: Das fand ich schon ziemlich cool.

00:47:02: Für das mega gut.

00:47:04: Ist das auch so etwas, was du häufig beobachtest, dass beispielsweise der so Geschlechterungerechtigkeiten

00:47:15: oder Geschlechterungleichheit oder Frauen hast, dass man das so vermehrt auf Migranten

00:47:20: abwält, aber sich weigert die deutsche Merzgesellschaft auch, wenn die Pflicht zu nehmen?

00:47:26: Ja, also ich habe ja eh immer das Gefühl, alles Schlechte ist importiertmäßig, so wird das ja immer dargestellt.

00:47:33: Und wenn ich mir aber auch so angucke, also ich kann da wieder auf die deutschen Familien zurückgreifen,

00:47:38: in denen ich halt gearbeitet habe, auch da war halt Sexismus ein großes Problem.

00:47:42: Weißt du, wie viele deutsche Familien ich erlebt habe, wo am Ende, wenn es um Erbschaft ging,

00:47:48: die Jungs deutlich mehr geerbt haben als die Frauen.

00:47:53: Also darüber wurde halt nicht so geredet.

00:47:56: Und dann das Ganze auf Migranten so zu projizieren, ist halt so eine Sache, die ist so ein bisschen unglaubwürdig.

00:48:03: Aber gleichzeitig ist mir halt auch nochmal so wichtig zu erwähnen, ich habe ja auch fünf Jahre lang im Gefängnis gearbeitet

00:48:09: und auch gerade mit Jungs zu patriarchalen Rollenbildern,

00:48:14: dass wir gerade halt so unter Jungs und Männern andere neue Formen von Männlichkeit halt brauchen.

00:48:23: Also ich habe es immer wieder, dass ich Jungs im Gefängnis hatte und auch ab und an noch habe,

00:48:28: die halt sagen so, ja, aber wenn ich so und so nicht bin, dann werde ich ja total verweichlich dargestellt, da kriege ich einen auch small.

00:48:34: Also diese Angst davor anders zu sein, die verhindert tatsächlich das Anderssein

00:48:40: und da ist es halt total wichtig, gerade jungen Männern einfach auch Mut beizubringen,

00:48:45: dass halt der Wandel bei einem selber halt beginnt.

00:48:48: Und ich finde es total wichtig, gerade so im Kontext, also auch in der eigenen Familie.

00:48:53: Also mir war immer wichtig, eine gute Beziehung zu meiner Schwester zu haben,

00:48:56: dass meine Schwester vor mir keine Geheimnisse hat, dass sie sich vor mir nicht fürchten muss,

00:49:01: weil ich so viele Sachen halt eben auch aus dem Stadtteil immer wieder beobachtet habe

00:49:05: und gemerkt habe, boah, so will ich das nicht mit mir und meiner Schwester haben.

00:49:08: Das ist kein guter Weg so. Und die Früchte dieser Beziehung, die trage ich halt total auch heute.

00:49:15: Also wenn ich selber auch irgendwie, wenn es mir scheiße geht, wenn ich Probleme habe,

00:49:21: mein Schwester ist meistens die erste Adresse und alles drum ist es genau so.

00:49:25: Und da finde ich das halt irgendwie total wichtig, dass wir halt auch solche Geschichten erzählen

00:49:29: und auch junge Männer und Jungs dazu motivieren, halt eben auch solche Wege zu gehen so.

00:49:34: Hm, du interessierst dich für Biografieforschung. Was ist das denn und warum?

00:49:43: Also Biografiarbeit ist so eine Sache, die für mich sehr wichtig war,

00:49:49: weil ich im Kontext von Rassismus und Antisemitismus immer gemerkt habe,

00:49:53: Leute zeigen sehr schnell mit dem Finger auf andere und reden nicht darüber,

00:49:57: welche Vorurteile sie haben, von wem sie diese Vorurteile gelernt haben,

00:50:01: wie sie in ihrer Biografie damit umgegangen sind.

00:50:04: Und ich finde halt die Verordnung in der eigenen Biografie so wichtig,

00:50:07: weil ich möchte erstmal meine eigenen Einstellungen verändern,

00:50:10: bevor ich mir das große Ganze halt anschaue.

00:50:13: Und in der Biografiarbeit passieren halt Dinge, wo wir selber merken,

00:50:19: dass das keine abstrakten Begriffe sind, sondern dass diese Themen unser Leben beeinflusst haben.

00:50:24: Ich kann ja ein Beispiel nennen.

00:50:27: Ich habe in meiner türkischen Familie, als wir in meiner Türkei zu Besuch waren,

00:50:31: waren wir bei einer Familie zu Besuch.

00:50:33: Die hatten so Bilder von Männern im Militär und so.

00:50:36: Und dann hat mir so ein älterer Onkel halt erzählt,

00:50:38: so ja, das ist so offiziell so und so.

00:50:40: Und hat halt so richtige Heldenveräerung.

00:50:42: Und ich habe war irgendwie acht Jahre alt.

00:50:44: Ich fand das voll krass.

00:50:45: Ich so, wow, war es so stark war der Mann gewesen und so.

00:50:48: Gehe dann aber zu meiner kurdischen Familie.

00:50:51: Ich erzähle völlig begeistert von diesen Helden.

00:50:55: Und die Älteren sagen, hey, pass mal auf, da sind keine Helden,

00:50:58: da sind Verbrecher, die haben unsere Leute ermordet.

00:51:01: So und das war dann so eine Situation, wo ich in meiner Biografie gemerkt habe,

00:51:07: so, boah, irgendwie total krass, wie nah das an mir dran ist.

00:51:11: Und ich glaube, dass genau dieser Wandel in dieser Keimzelle da halt passieren muss,

00:51:16: weil ich halt auch davon überzeugt bin, dass gerade so die Familie ist halt

00:51:21: und die eigene Biografie ist eigentlich so die Keimzelle des Patriarchats.

00:51:25: Und da können wir sehr, sehr vieles halt verändern.

00:51:29: Ich meine, auch wenn wir vielleicht Angst haben und uns nicht trauen,

00:51:33: aber zumindestens für uns selber, auch wenn ich vielleicht meine Familie nicht ändern kann,

00:51:37: aber ich selber, ich kann mich definitiv ändern.

00:51:40: Du wurdest neulich in der Frankfurter Rundschau ziptiert mit den Worten,

00:51:44: mir sind die Ängste von AfD-Wählern völlig egal.

00:51:49: Und hast darauf hingewiesen, dass die Ängste von Antifaschistinnen

00:51:53: oder von Menschen mit Migrationsgeschichte irgendwie nie Aufmerksamkeit bekommen.

00:51:57: Also besorgte Bürger sind nicht diejenigen, die Angst haben, bestimmte Gegenden in,

00:52:02: ja, ich sag jetzt mal aus Deutschland oder auch woanders zu betreten,

00:52:06: weil sie Angst haben, dass da No-Go-Ariests sind und sie von irgendwelchen Faschus auf die Mütze bekommen,

00:52:10: sondern besorgte Bürger sind immer diejenigen, die bei Pegida mitlaufen.

00:52:14: Oder Merkel muss weg, dem muss oder so.

00:52:18: Aber die Frage, die sie stellt, ist ja, machen es die Linken falsch,

00:52:24: wenn sie das nicht genauso inszenieren oder machen sie es eigentlich richtig

00:52:28: und fliegen damit einfach nur jedes Mal auf die Nase?

00:52:32: Ich glaube, mir ging es eher darum, Medien zu kritisieren.

00:52:37: Weißt du, am Anfang des Jahres kommen Deportationspläne raus

00:52:41: und dann kommt bei Maischberger und bei den ganzen anderen Sendungen,

00:52:45: bei den anderen Talkshows eine Sendung zu der Frage,

00:52:48: ist die AfD eine rechtsextreme Partei?

00:52:51: Wo ich so denke, Leute, Faschos planen Fascho-Dinge

00:52:56: und ihr fragt euch, ob das Faschos sind oder sind sie vielleicht doch links?

00:53:00: Also so, das sind so Sachen, da gehe ich total an die Decke

00:53:04: und es geht ja immer wieder darum, oh, wie kann man die AfD-Wähler erreichen?

00:53:08: Und ich mir denke, es gibt hier so viele Menschen, die gerade von der AfD attackiert werden,

00:53:14: deren Sicherheit und Existenz die ganze Zeit verhandelt wird.

00:53:17: Was ist denn mit deren Ängsten?

00:53:19: Was ist denn in meinem migrantischen Freundeskreis, wenn wir alle im Plan B in der Tasche haben,

00:53:23: wenn wir auf gepackten Koffern sind und wenn wir uns überlegen, was machen wir eigentlich,

00:53:27: wenn wir die nächsten Jahre nicht in Deutschland verbringen,

00:53:29: sondern wo können wir hingehen?

00:53:31: Haben wir Kontakte im Ausland, die wir irgendwie aktivieren können?

00:53:33: Was machen wir, wenn dieses Land wieder mal Bock hat, seine Geschichte zu wiederholen?

00:53:37: Also das ist halt echt so eine Sache, wo ich mich wirklich total sauer werde

00:53:42: und mir denke, warum kommt so was nicht bei Karen Meoska?

00:53:45: Warum kommt so was nicht bei Maybrit Inner, die Ängste der Menschen,

00:53:48: die von Antisemitismus betroffen sind, von Homophobie betroffen sind, von Rassismus betroffen sind?

00:53:53: Warum sitzen diese Menschen nicht in diesen Talkshows und kriegen eine Bühne dafür?

00:53:57: Stattdessen siehst du Datino Krupalla in seinen schlechten Anzügen und Outfits,

00:54:02: wie der sich da einen abstammelt und eine Lüge nach der nächsten halt erzählt

00:54:06: und er wandert von einer Talkshow in die nächste.

00:54:08: Also das sind echt so Sachen, da will ich mir den Kopf gehen, die Wand schlagen.

00:54:11: Ehrlich, also das sind so, es macht mich einfach total sauer

00:54:16: und deswegen habe ich halt auch echt einfach so die Einstellung, die Ängste der Menschen,

00:54:21: die erstens in der AfD sind oder diese faschistische Partei wählen, die sind mir völlig egal.

00:54:26: Mir ist wichtig, weil die Mehrheit in diesem Land hat kein Bock auf diese Partei.

00:54:30: Mir sind die Ängste der Mehrheit total wichtig und ich möchte, dass sie abgebildet werden

00:54:35: und dass über sie auch gesprochen wird.

00:54:38: Du sprichst ja über alles das mit deinen Kollegen, Abdul Jahin und Eiland Cilic

00:54:48: und ihr macht den Podcast "Brennpunkt".

00:54:51: Was macht ihr da?

00:54:54: "Brennpunkt" kennt ihr entweder aus der AfD, wenn wieder irgendwie eine Katastrophe passiert ist

00:54:59: oder von Schulen, die sind Brennpunktschulen.

00:55:02: Ja, also wir machen quasi einmal die Woche, behandeln wir alle heißen Brennpunktthemen.

00:55:09: Es ist ein Podcast, der so quasi von der Hood für die Hood und Friends gedacht ist,

00:55:15: wo wir auf satirische Weise, polemische Weise, sehr analytische Weise über all das sprechen,

00:55:22: worüber immer gesprochen wird in Bezug auf Brennpunkt und wir versuchen das Ding umzudrehen,

00:55:27: indem wir immer wieder sagen, ja, so Stadtteile wie Neukölln und Marxloh werden als Brennpunkte angesehen,

00:55:33: aber die Reichensiedlung, wo die Leute keinen Kontakt zum Rest der Welt haben,

00:55:39: wird komischerweise nicht als Brennpunkt gesehen.

00:55:41: Also solche Fragen stellen wir uns da und wir gehen halt eben auf all die Themen auch ein,

00:55:48: die rund um das Thema Migration eine große Rolle spielen und uns ist wichtig

00:55:53: und da ist auch unser neuer Kollege Malte Küppers mit am Start, dass wir da einfach verschiedene Perspektive mit an den Tisch holen

00:56:00: und ja, die Hood mal so ein bisschen zum Brennen bringen auf jeden Fall.

00:56:03: Auch mal nicht Migrant.

00:56:05: Sollte es ja nicht Diversity?

00:56:08: Ja, das ist aber bei uns nicht das Kernthema,

00:56:13: bei uns geht es eher darum, selber in so einer Gegend aufgewachsen zu sein.

00:56:18: Und ich habe halt sehr, sehr viele deutsche Friends auch, die kennen zwar keinen Rassismus,

00:56:22: aber die kennen es halt arm zu sein.

00:56:24: Also die kennen das, wenn bei sie nicht einmal die Woche Fleisch auf dem Tisch ist

00:56:30: und man sich darauf stürzt mit der ganzen Familie, oder die kennen das irgendwie auf Klassenfahrten nicht dabei sein zu können,

00:56:36: weil man irgendwie kein Geld in der Tasche hat und sich total schämt, um nach Hilfe zu fragen.

00:56:40: Also das ist halt eher so das verbindende Element.

00:56:44: Du hast vor ein paar Wochen das erste Mal den Late Night Real Talk der Münchner Kammerspieler moderiert.

00:56:52: Wie ging es dir da? Was hast du da gemacht?

00:56:55: Oh, weißt du wie es mir ging? Es ging mir wie 2008, als ich meine Abi Prüfungen geschrieben habe.

00:57:00: Also das erste Mal, dass ich so ein großes Format in einem Theaterhaushalt habe.

00:57:05: Ich war furchtbar aufgeregt.

00:57:08: Also ich habe mir da wirklich, ich konnte tagelang vorher nicht pennen.

00:57:11: Es war eine super, supergeile Herausforderung.

00:57:15: Und ich hatte zwei tolle Gäste mit dabei, Christian Sittenauer und Eliza.

00:57:20: Wir haben über München, Mars und Männlichkeit geredet.

00:57:23: Und es ist ein Format, was auf der einen Seite natürlich Polit-Talk unterhalten, Polit-Talk irgendwie zum Ansatz hat,

00:57:30: aber auch viel Unterhaltung.

00:57:32: Und dass wir über diese Themen, die die Gesellschaft bewegen, also wo gerne mal so ein Mantel draufgeworfen wird,

00:57:38: wo man gerne darüber schweigt, dass wir mal diesen Manteln ein bisschen lüften

00:57:42: und versuchen uns spielerisch an Tabuthemen ranzuwagen.

00:57:46: Richtig gut. Was steht in den kommenden Jahren noch an?

00:57:49: Was so noch andere Projekte, Podcasts gibt es irgendwas, was du schon verraten kannst?

00:57:55: Weißt du was ansteht?

00:57:58: Nächstes Jahr mit meinen Jungs Iron Man zu laufen in Duesburg.

00:58:01: Nein!

00:58:02: Ja, also das ist gerade so der Hauptfokus,

00:58:05: weil ich habe mich die letzten Jahre was Ernährung und Bewegung angeht.

00:58:10: Das war eine Katastrophe so.

00:58:13: Und ich bin jetzt echt dabei, mir so langsam sportliche Strukturen und Ernährungsstrukturen auch zu bauen.

00:58:18: Ich habe schon echt ordentlich abgenommen so.

00:58:21: Merk auch irgendwie im Kopf, dass das irgendwie so ganz viel Ballast so abfällt.

00:58:26: Und ja, eigentlich steht nächstes Jahr im Zeichen so das Sport.

00:58:31: Und arbeitsmäßig werde ich mal gucken, dass ich mich mal langsam an so ein zweites Buch ran mache,

00:58:36: weil Leute mich auch schon die ganze Zeit fragen.

00:58:38: Also am liebsten genau diese beiden Sachen, also neben dem Format, den ich in der Kammer spielen,

00:58:44: setze ich mich an mein Buch und werde gucken, dass ich sportlich in meiner alte Zeit,

00:58:51: wo ich mit 18 geboxt habe, dass ich da mal wieder ein bisschen rankommen soll.

00:58:55: Ja, ich wünsche es dir.

00:58:56: Das ist, glaube ich, wenn man Älter wird, ein Thema, um das man sich gewinnen muss.

00:59:00: Obwohl eigene Körper, die eigene Gesundheit.

00:59:03: Wir sind jetzt so langsam am Ende dieser Folge.

00:59:06: Wir geben zum Abschluss immer die Möglichkeit, initiativen Projekte,

00:59:10: Menschen, Musikerinnen, Autorinnen oder was immer, die sonst cool ist, den Kopf kommt, vorzustellen.

00:59:15: Das ist die Werbeanzeige sozusagen.

00:59:20: Du kriegst kostenlos Werbezeit geschenkt.

00:59:23: Du kannst für dich, für jemand anders, kannst ein bisschen Werbung machen.

00:59:29: Und genau, danach machen wir mal ein bisschen Geschäftsschluss.

00:59:33: Ja, ich habe es ja gerade schon erwähnt mit den Münchner Kammer spielen,

00:59:52: dass ich da eine tolle gestern hatte, die Rapperin Eliza, die wirklich richtig geilen Rap macht.

00:59:56: Es ist von emotional, rührend, bewegend bis hin zu sehr selbstbewusst, sehr empowernd.

01:00:04: Feier ich total, also richtig, richtig geile Mocke.

01:00:08: Und tatsächlich das neue Programm von meinem Kollegen Abdul Shaheen.

01:00:13: Ach die jetzt, die Solo-Show.

01:00:15: Es gibt zwar noch wenige Karten.

01:00:17: Die Tour ist fast ausverkauft, aber das ist ein tolles Programm,

01:00:21: wo über sehr viele Dinge gelacht wird, über die man eigentlich gar nicht so lachen möchte.

01:00:27: Eine sehr, sehr geile Energie auf der Bühne, richtig geile Stories aus dem Wiesburgernorden.

01:00:32: Besuchen bei Politikern bis hin zu Schlägereien auf der Straße ist wirklich alles abgedeckt so.

01:00:39: Und das sind die zwei Künstlerinnen und Künstler, die ich im Moment wirklich total krass feiern.

01:00:45: Vielen Dank, Burak. Schön, dass du da warst.

01:00:48: Das war ja eine Stunde, die wirklich wie im Flug vergangen ist.

01:00:52: Ich kann noch einmal wiederholen, dass, wie sehr ich mich freue, wenn Leute aus Nordrhein-Westfalen zu Gast sind.

01:01:00: Wir freuen uns, wenn ihr liebe Zuhörern zuhört, uns abonniert.

01:01:05: Wenn ihr uns auf Instagram folgt oder wo auch immer Veto-Magazin bei euch auftaucht, geht auf veto-mack.de.

01:01:13: Schaut auf neue Folgen und Beiträge.

01:01:15: Und nochmal vielen Dank, Burak, dass du da warst.

01:01:17: Danke dir für die Einladung, das war richtig cool.

01:01:19: Drücke die Daumen für alles Weite und ich sage mal bis dahin. Zum nächsten Mal.

01:01:24: [Musik]

01:01:39: Hey, bist du noch da?

01:01:41: Dann bis bald.

01:01:43: Du hörst ganz schön laut. Den Veto-Podcast. Alle zwei Wochen. Überall, wo es Podcasts gibt.

01:01:50: Und bis dahin folgt uns auf Instagram und TikTok.

01:01:55: Tok.

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